Mut, einen Schritt voranzugehen
Warum Transformation zuallererst mit einem selbst zu tun hat, erklärt die Beraterin Marina Barz im Interview mit Lisa Kratzer.
Was heißt für dich Transformation?
Marina Barz: Transformation in Unternehmen heißt Umbau von Strukturen, Prozessen, Teams. Mein Schwerpunkt dabei: Wie sich Führungsstrukturen und die Führungskultur im Unternehmen verändern sollten, wenn es agiler werden will.
Wie häufig wird Transformation in Beratung und Training angesprochen?
In 90 % aller Fälle, und zwar branchenübergreifend. In der zugespitzten Frage „Was bedeutet Transformation für die Führung?“ wird das Thema seit 6, 7 Jahren wichtiger.
Wie stark ist das Bewusstsein dafür ausgeprägt?
Im Top-Management ist der Leidensdruck mitunter weniger spürbar. Was nicht heißt, es gäbe keinen. Hier ist eher die Frage: Wie geht die oberste Führungsriege damit um? Was gibt sie davon nach außen? Ab der zweiten, dritten Führungsebene ist der Leidensdruck stärker zu spüren. Und je nach Leidensdruck wächst auch das Bewusstsein. Sehr positiv sehe ich, dass das Bewusstsein im mittleren ohne Krise, wächst.
Wenn jemand sagt: „Die Oberen tun nichts“ oder „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen eigentlich gar nicht mit“, unternimmt er oder sie trotzdem konkrete nächste Schritte?
Das ist die klassische Verdrängung: Wenn die oben nichts machen, kann ich auch nichts machen. Dann sollte sich die Führungskraft aber fragen: Welchen Freiraum habe ich? Und den im Training oder in der Beratung erarbeiten. Dann ist Mut gefragt: Traue ich mich, einen Schritt zu machen, der vielleicht im Unternehmen noch nicht ganz so gut ankommt? Was kann ich tun, damit andere sich mit mir bewegen? – Und schon sind wir bei der Veränderung des eigenen Führungsverhaltens.
Inwiefern realisieren Führungskräfte, dass das Thema mit ihrem eigenen Führungsstil zu tun hat?
Häufig sagt jemand: „Dieser Mitarbeiter will nicht.“ Oder: „Jener Mitarbeiterin fehlt die Kompetenz.“ Wenn ich nachhake: „Haben Sie danach gefragt? Haben Sie jene Schritte gemacht?“, heißt es erstaunt: „Nein, habe ich nicht.“ Ich erlebe überraschend oft, dass jemand sagt: „Ihre Frage hat mir jetzt die Augen geöffnet und ich erkenne neue Handlungsoptionen.“
Es hat auch etwas mit den Vorannahmen, vielleicht auch Vorurteilen zu tun, wie ich Menschen begegne. Im Grunde ist es wichtig zu erkunden: Wie kommt es, dass sich jemand so oder so verhält? Welche Unterstützung braucht er? Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jahrzehntelang Eigeninitiative, Selbstständigkeit nicht praktizieren konnten, haben sie das teilweise auch verlernt. Dann soll die Mitarbeiterin plötzlich selbstständig denken und arbeiten. Ideen einbringen. Fehler sind gestattet, die werden ausgewertet. Sie kriegt nicht gleich eins über die Mütze, wenn sie Kritik übt. Es gilt, sich mit der Führungskraft auf eine gemeinsame Lernreise zu begeben. Eine Führungskraft, Anfang 60, sagte kürzlich: „Ich habe in 6 Tagen gelernt, dass ich nicht mehr in Richtig- oder Falsch-Kategorien denken will.“ Dieser Herr stellte sich mit seinen vielen Jahren an Führungserfahrung selber infrage.
Wodurch wird es möglich, dass jemand zu solchen Erkenntnissen kommt?
Also, da finde ich den theoretischen Input von C. Otto Scharmer hilfreich: Erst wenn ich mich mal von meinen alten Denkmustern verabschiede, kann etwas Neues passieren. Ich werde ja als Führungskraft nicht überflüssig, habe aber eine andere Funktion, begleite und unterstütze meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Und inwieweit sind solche Selbsterkenntnisse vom organisationalen Kontext abhängig?
In weniger reifen Organisationen werde ich unterstützt, wenn ich an meinem gewohnten Führungsverhalten festhalte. Bewegt sich die Organisation, kann ich mich infrage stellen. Es braucht Mut, einen Schritt voranzugehen. Trainings sind wichtig, dort treffen sich mutige Menschen, die diesen Schritt gehen wollen.
Ist das Postulat des postheroischen Leadership mittlerweile in der Praxis angekommen?
Ich glaube, es wächst durch Einzelne, die sich positionieren. Es ist eine kleine Pflanze, die sich durch die Mauer kämpft. Und auf einmal kommt ein grüner kleiner Zweig oder sogar eine blühende Blume durch die Mauer. Arbeitsformen verändern sich sehr, es gibt Home-Arbeitsplätze, flexible Arbeitszeiten, Lernen verändert sich. Durch die Digitalisierung steigt auch der Druck von außen. Die jüngere Generation unterscheidet sich von der älteren sowohl in der Identifikation mit dem Unternehmen als auch durch andere Ansprüche an die Lebensgestaltung.
Was könnte in diesem Kontext noch wichtig sein?
Wichtig ist, abseits der Alltagsroutine Räume zu finden, wo Führungskräfte innehalten und sich fragen: Was können wir anders machen als bisher? Und ihrem Nicht-Wissen ins Auge sehen. Ich muss zwar anderen Sicherheit geben, wo ich kann, aber es gibt Bereiche, wo ich auch nicht weiterweiß. Dann sollte ich mich fragen: Was brauche ich in dieser Unsicherheit für ein Zukunftsbild, was für eine Vision für mich und für die Organisation? Und: Wie steht es mit meiner Resilienz? Und wie ist es um die Resilienz der Organisation bestellt? Ich würde mir wünschen, dass die Führungskräfte einsehen: Veränderung ist eine Chance und Neues eine Bereicherung.
Marina Barz ist Hernstein Netzwerkpartnerin. Die Dipl.-Pädagogin und Betriebswirtin (grad.) ist seit 15 Jahren freiberufliche Beraterin und Coach mit den Schwerpunkten Veränderungsprozesse gestalten und Führungskräfteentwicklung konzipieren und durchführen. Sie arbeitet in verschiedenen Branchen mit dem Top- und mittleren Management. Aktuell interessiert sie sich besonders für Transformationsprozesse im Bereich Führungskultur. Wie können lange gewachsene Unternehmen in der Struktur agiler werden und bedeutet das auch die Veränderung der Haltung der Führungskräfte? Lernen und persönliche Veränderung sind eine wichtige Antriebskraft in ihrem Leben: Wie kann Neues entstehen? Diese Frage ist für Marina Barz eine wichtige Leitfrage im Leben. In ihrer Arbeit geht sie gern mit Führungskräften dieser Frage nach.
Dieser Artikel ist im Hernsteiner 3/2016 erschienen. Unser Magazin enthält wertvolle Impulse für die erfolgreiche Transformation von Unternehmen.
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