Laterales Führen
Wie man Menschen auch ohne Führungsfunktion führt
"Führen von der Seite" ist Leadership in seiner zeitgemäßen Form. Zwei Hernstein-Trainer erklären ungenutzte Machtquellen und wie man Beziehungen gestaltet.
Wer Projektteams mit Beschäftigten aus unterschiedlichen Abteilungen leitet, kennt diese Herausforderung: Man ist für Ergebnisse verantwortlich, obwohl man keine offizielle Vorgesetztenfunktion innehat. Hier hilft die Fertigkeit der lateralen Führung, also des Führens "von der Seite". Mit dieser gelangt man aus einer Situation ohne disziplinarische Führungsmacht in eine mit größerer Handlungsfähigkeit. Sebastian Eger-Mraulak und Martin Halder leiten ein Hernstein-Seminar zu diesem Thema. Das Interview führt Gerhard Mészáros.
Wer benötigt – abgesehen von Personen, die Projekte leiten – die Fertigkeit der lateralen Führung?
Martin Halder: Heute müssen alle Führungskräfte etwas von lateraler Führung verstehen. Denn wenn ich die disziplinarische Reißleine ziehen muss, entsteht eine Lose-lose-Situation. In unserem Seminar sind vor allem Personen, denen die Verantwortung für bestimmte Aufgabengebiete umgehängt wurde, ohne dass sie disziplinarische Möglichkeiten für die Umsetzung hätten. Das erzeugt großen Druck. Das kann etwa eine Projektleiterin oder ein Projektleiter sein, eine Person mit Themenverantwortung oder eine Vorstandsassistenz, die dafür zuständig ist, grundlegende Themen flächendeckend in die Organisation hineinzutragen. Auch in Teams, die nur virtuell zusammenarbeiten, muss ich auf laterale Führung zurückgreifen.
Sebastian Eger-Mraulak: Es gibt in vielen Unternehmen weniger Hierarchie, mehr Beteiligung und daher immer mehr Menschen, die de facto führen müssen, obwohl sie keine hierarchische Führungsverantwortung haben.
Wie kann ich Menschen ohne die formelle Macht einer Führungsfunktion führen?
Halder: Am besten man beginnt mit einer Frage: Wer hat welche Erwartungen an mich? Damit bekomme ich einen Überblick über meine Situation und ihre Herausforderungen. Dabei sollte ich drei Ebenen im Blick behalten: einzelne Personen, Personengruppen mit ihrer jeweiligen Dynamik und die gesamte Organisation, in der etwa bestimmte kulturelle Werte vorherrschen.
Eger-Mraulak: Wenn Sie die unterschiedlichen Rollen und Erwartungen nicht durchschauen, dann sind Sie im Nebel unterwegs.
Wie kann ich auf Basis einer solchen Standortdiagnose Einfluss ausüben?
Halder: Akzeptieren Sie, dass Sie keine direkten Machtinstrumente haben, und gestalten Sie positive Beziehungen zu den Menschen in Ihrer Umgebung.
Positiv bedeutet wertschätzend?
Eger-Mraulak: Mit Wertschätzung wäre ich vorsichtig. Das wird oft als Allheilmittel gehandelt, was es aber nicht ist. Das Dogma der Wertschätzung verhindert oft ehrliche Auseinandersetzung und damit die Gestaltung von Beziehungen. Man muss andere auch kritisieren können.
Halder: Es geht nicht darum, einander sympathisch zu sein. Sondern zu klären, was man voneinander braucht. Wenn ich das proaktiv mache, dann fange ich potenzielle Konflikte früh ab. Wir haben oft ein zu passives Konfliktverhalten.
"Der Grundsatz der Wertschätzung verhindert oft ehrliche Auseinandersetzung." - Sebastian Eger-Mraulak
Führung wird dann zur Herausforderung, wenn man auf Widerstand trifft. Wie kann man "lateral" mit Widerständen umgehen?
Eger-Mraulak: Das Kernelement lateraler Führung besteht darin, Vereinbarungen zu schließen. Ich muss Klarheit über Aufgaben und Erwartungen schaffen und damit Personen dafür gewinnen, gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten.
Halder: Das Wichtigste ist, proaktiv zu handeln. Und das heißt vor allem: zu kommunizieren. Also Themen ansprechen, Leistung einfordern, dranbleiben, bis etwas wirklich geklärt ist. Sich totstellen und warten, bis die Dinge besser werden, ist selten hilfreich.
Ohne formelle Führungsfunktion bleibt mir bei Widerstand also nichts anderes übrig, als den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden?
Eger-Mraulak: Nein, das wäre ein fader Kompromiss. Wir brauchen Vereinbarungen, aber der Vereinbarung muss eine ehrliche Auseinandersetzung vorausgehen. Konstruktiv Streiten ist eine Schlüsselkompetenz.
Halder: Durch diese konstruktive Auseinandersetzung steigt die Qualität der Lösung. Wir wollen nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner, aber andererseits wird sich auch niemand zu 100 Prozent durchsetzen können.
Welche Quellen von Macht können mir bei der Führung helfen, wenn ich keine Funktionsmacht habe?
Halder: Es gibt viele unterschiedliche Quellen von Macht. Manche möchte man vielleicht gar nicht nutzen, etwa Macht, die durch Angst entsteht. Andere Quellen lasse ich vielleicht ungenutzt, ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Ich kann etwa Koalitionen schmieden, es gibt Macht durch Beziehungen oder Macht durch Kommunikation – was sage ich wann und wie.
Eger-Mraulak: Eine weitere Machtquelle ist Expertenmacht, also durch die Expertise, die mir andere zuschreiben. Viele Leute wissen oft gar nicht, dass sie über so einen Expertenstatus verfügen und wie sie ihn nutzen können. Klar ist: Führung ohne Macht gibt es nicht. Wenn ich etwas verändern will, dann muss ich Einfluss nehmen.