Holacracy: Jobs wie Ferraris?
7 Anregungen, wie Sie vorhandene PS am besten freisetzen.
Im Juli war ich eine Woche in Amsterdam, um Holacracy besser kennenzulernen. Holacracy ist eine neue Steuerungsform für Organisationen, entwickelt und laufend optimiert von Brian J. Robertson. Wie bleiben Unternehmen agil, um im rasanten Wandel erfolgreich zu bleiben? Holacracy ist Brians Antwort auf diese Frage. Die Resonanz ist beeindruckend und hat wohl damit zu tun, dass das Modell sehr gut durchdacht ist. Es beantwortet alle Fragen rund um Führung und Verantwortung für Organisationen. Mittlerweile gibt es auch schon Unternehmen, die die Anfangsschwierigkeiten nach der Umstellung auf Holacracy erfolgreich bewältigt haben. Ruben Timmermann, Gründer der holländischen Trainingsplattform Springest, sprach bei einem Meeting offen über die Probleme, aber auch über die Chancen des neuen Modells. Er zweifelte nicht daran, dass er vor 3 Jahren die richtige Entscheidung für Springest getroffen hatte. Oft sind es einzelne Bereiche in Konzernen, die auf die neue Steuerung umstellen, wie etwa die Finanzabteilung im Danone Headquarter in Paris oder das Compliance- und Qualitätsmanagement beim Anlagenbauer Oerlikon in der Schweiz. Nicht überraschend: Für Softwarehersteller scheint Holacracy am attraktivsten zu sein.
Do Your Job Like Driving a Ferrari
Ein Ferrari ist ein Bewegungsmittel wie viele andere, aber ein elegantes, kraftvolles, schnelles und attraktives. Wenn Jobs nach denselben Kriterien wie die italienischen Luxusautos gestaltet wären, so Brian, könnte die Arbeit besser, schneller und umsichtiger erledigt werden. Und wer würde nicht lieber in einem Ferrari-Job arbeiten? Nicht nur Fahrer oder Fahrerin, auch das Unternehmen würde davon profitieren. Der Job à la Ferrari braucht allerdings geeignete Rahmenbedingungen. Aus dem Holacracy Practitioner Training habe ich dazu 7 Anregungen mitgebracht:
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Dynamisch steuern
Ein dynamisch gesteuertes Umfeld erlaubt wendiges, schnelles und kraftvolles Agieren und Reagieren auf dynamische Rahmenbedingungen. Dynamisch steuern heißt, auf das zu reagieren, was passiert, intern und extern. Dort, wo etwas passiert, brauchen die Jobs möglichst weite Entscheidungs- und Gestaltungsfreiräume und wenige, aber verbindliche Regeln. Und natürlich eine positive Einstellung zu Fehlern. Das Zögern und Zaudern, das viele Organisationen lähmt, kann durch eine wichtige Frage überwunden werden: „Is it save enough to try, knowing we can revisit it anytime?“ -
Der Zweck bestimmt das Handeln
Der Zweck (purpose) der Organisation wird sorgfältig definiert. Die Funktionen und Aufgaben zur Umsetzung des Zwecks werden an überschaubare Einheiten, Kreise (circles) genannt, delegiert. In den Kreisen werden Teammitgliedern Rollen mit klaren Verantwortlichkeiten übertragen. Die Klarheit über den Zweck verleiht Sicherheit. Wenn ich weiß, wofür ich etwas tue und was dabei herauskommen soll, habe ich die nötige Sicherheit, um schnelle und gute Entscheidungen zu treffen. -
Spannungen bearbeiten und dadurch die Organisation weiterentwickeln
Eine konstruktive Konfliktkultur ist das Rückgrat einer dynamischen Organisation. Holacracy kennt 2 Arten von strukturierten Meetings: Governance und Tacticals. In Governance wird an der Organisation gearbeitet, in Tacticals in der Organisation, also an tagtäglichen Problemen. An der Organisation zu arbeiten heißt, die Regeln an geänderte Bedingungen anzupassen. Hier werden Rollen definiert, Zuständigkeiten geklärt und strategische Fragen besprochen. Dafür gibt es einen klar definierten Prozess, der keinen Spielraum für die üblichen Macht- und Konkurrenzspiele lässt. Governance sorgt dafür, dass die Organisation beweglich bleibt und die Energie dorthin fließt, wo gerade neue Chancen entstehen. -
What Do You Need?
Tacticals konzentrieren sich darauf, was der oder die Einzelne braucht, um gut arbeiten zu können. Jeder und jede im Team hat seine bzw. ihre klar definierte Rolle und weiß selbst am besten, wie die damit verknüpften Projekte und Aufgaben erfolgreich erledigt werden können. „Was brauchst du?“ (What do you need?) ist die häufigste Frage in diesem Kontext. Sie hilft dem oder der Einzelnen, Klarheit zu gewinnen und immer besser zu werden. -
Integriertes Entscheiden
Wer denkt, dass Entscheidungen anderer den Zweck des Teams oder des Unternehmens gefährden, bringt seine Spannung im Governance Meeting ein. Es könnte ja sein, dass er aus einer anderen Perspektive auf ein Problem schaut und andere Gefahren oder Chancen sieht. Gleichzeitig zeigt die Praxis, dass 9 von 10 Einwänden als nicht berechtigt abgelehnt werden. Die eigene Lösung für die bessere zu halten, übersteht den Prozess der Überprüfung nicht. Dennoch wird alles gehört, was ein Teammitglied vorbringen möchte, es könnte ja auch wichtig für das Überleben der Organisation sein. Manchmal werden auch nur Teilaspekte des Antrags integriert. Dieser Entscheidungsprozess ist wie eine kurze Mediation und so angelegt, dass die kollektive Weisheit ans Tageslicht kommt. -
Klar strukturierte Meetings
Eine wichtige Rolle hat der Moderator (facilitator), der dafür sorgt, dass Meetings einer effizienten Struktur folgen und nicht für Mikropolitik missbraucht werden. Für jeden Kreis ist auch klar geregelt, wer die Verantwortung für den Einsatz von Ressourcen trägt, wie die Ergebnisse dokumentiert werden und wer den Kreis nach außen vertritt. Dadurch entsteht eine Struktur, auf die Verlass ist. Energien werden frei für die Umsetzung des Zwecks. -
Persönliche Entwicklung
Selbstmanagement ist eine zentrale Kompetenz im Holacracy-Modell. Wer nicht weiß, was er bzw. sie für richtig hält, oder das nicht offen vertreten möchte, wird sich mit diesem Modell schwertun. Lösungsorientiertes Kommunizieren, das Vermögen, Konflikte konstruktiv auszutragen, aber auch Resilienz, also das Aushalten-Können von Unsicherheit und raschem Wandel, sind besonders wichtig.
Ob Holacracy wohl wirklich die Erfolgsstory werden kann, die Brian und seine Follower vorhersehen? Ich weiß es nicht. Sicher ist, dass das Modell traditionellen Organisationen und ihrer Führungsmannschaft zunächst wenig attraktiv erscheint. Zu viel müsste sich ändern, zu viele lieb gewonnene Gewohnheiten müssten aufgegeben werden. Es könnte aber durchaus sein, dass viele junge, agile Unternehmen die alten zunehmend vom Markt verdrängen. Die Gefahr besteht da und dort ja schon. Auch die traditionelle hierarchische Organisation war einmal jung und bedrohlich. Viele sind sicher, dass sie den Zenit ihres Erfolgs längst überschritten hat. Und dass nur neue Organisationsformen zukunftsfähig sind.
Brian Robertson hat die Keynote beim Hernstein Future Lab am 12. November 2015 gehalten.