Leadership Magazin
Der Hernsteiner 2/2021 widmet sich dem Thema "Unternehmenskultur". Was ist der Sinn des Sinns? Und warum steht er bei manchen Pyramiden ganz oben? Was lässt Hochzeiten im Himmel scheitern? Und wie geht Unkultur?
Ein Kreuzfahrtschiff ist ein schwimmendes Unternehmen. An der Spitze: die Kapitänin oder der Kapitän. Eine Führungskraft die Teams, die alle 3-5 Monate neu aufgestellt werden, navigiert und sie zu Höchstleistungen bringt. Was es dafür braucht? – Eine Kultur der Klarheit, ein Bewusstsein für unterschiedliche Strukturen und im Team eine gelebte Fehlerkultur, so der Kapitän Vincent Cofalka und Hernstein Trainerin Maria Spindler.
Ein großes Kreuzfahrtschiff ist eine schwimmende Stadt mit mehreren Tausend Bewohnerinnen und Bewohnern auf Zeit. Der Kapitän als "CEO" des Schiffs steht vor einigen besonderen Herausforderungen. Zum einen ist Artificial Intelligence (AI) in der Schifffahrt Alltag geworden. Das Schiff ist keine Stand-alone-Organisation, sondern hoch vernetzt: Es liefert Abertausende Daten – über das Wetter und die Strömung ebenso wie technische Anlagen – an die Landorganisation. Diese Daten werden ausgewertet und die Ergebnisse an das Schiff zurückgespielt. Selbstlernende AI hilft dabei, den Kurs zu halten, die Maschinen optimal zu warten und die maximale Energieeffizienz zu erreichen. AI kann ein Schiff tatsächlich besser von A nach B bringen als wir Menschen – außer das Unvorhergesehene und damit Nicht-Berechenbare tritt ein.
Hier kommt die nächste Besonderheit der Schifffahrt ins Spiel: eine extrem hohe Fluktuation im Team. Während die Gäste alle auf einmal wechseln, wechselt die Crew rollierend und bleibt 3 bis 5 Monate an Bord. Bis zu 10 Prozent werden an einem Tag abgelöst. Ein Team von 5 Personen könnte theoretisch in 10 Tagen vollständig ausgetauscht werden. Wie kann man unter diesen erschwerten Bedingungen ein Höchstleistungsteam schaffen, das in der Lage ist, schnell und kreativ auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren?
Diese Herausforderung ist fundamental. Denn durch AI steigt die Vernetzungsanforderung innerhalb und zwischen den unterschiedlichen Bereichen wie Nautik, Gäste-Service, Technik oder HR. Daten verpflichten und ihre Nicht-Nutzung zeigt Wirkung. Denn in der Hochseeschifffahrt gibt es Instant-Feedback. Ein Beispiel aus dem Schiffsalltag: 257 Gäste sind in ihrer Abendrobe patschnass geworden. Gedeck, Handtaschen und andere Schätze sind über das West-Deck gewandert, weil der leitende Wachoffizier von der Brücke dem Restaurantleiter nicht vorausschauend mitgeteilt hat, dass er durch die Wetterfront fährt und sie doch nicht umrundet. Solche kleinen Versäumnisse haben fatale Auswirkungen, denn der Gast hat innerlich die Traumreise auf dem Traumschiff gebucht. Das verursacht nicht nur schlechte Stimmung, sondern auch finanzielle Einbußen: Die Open-Deck-Poolparty fällt buchstäblich ins Wasser, die Gäste trocknen sich erst mal in der Kabine, die Bars und Restaurants müssen sich indoor neu organisieren. Ob die Gäste an diesem Abend wiederkommen, ist unklar. Kurz: Jede verpasste Teamkooperation bringt Nachteile für das Image und Einbrüche im Umsatz.
Das Erfolgsgeheimnis besteht darin, einen doppelten Blick auf das Schiff zu haben – es einerseits als hoch standardisierte, andererseits als flexible Organisation zu sehen. Der Kapitän und das Führungsteam benötigen ein Bewusstsein für unterschiedliche Strukturen, Führungskulturen und Machtordnungen. Zum einen schaffen Standardprozesse, Checklisten und Protokolle die nötige Stabilität und einen sicheren Rahmen. Gerade Übergabeprotokolle sind bei der hohen Fluktuation essenziell, um das implizite Wissen von Mensch zu Mensch weiterzugeben. Ein professionelles Eskalationsprozedere stellt sicher, dass der Kapitän blitzschnell alle Informationen über etwaige Probleme erhält – und die "CEO-Krankheit", also ein uninformiertes Entscheiden der Führungskraft, gar nicht erst Fuß fassen kann. Diese Rahmenstruktur ist extrem hierarchisch. Zu ihr gehört eine professionelle Grenzziehung: An Bord ist man per Sie – man ist nicht eine Person, sondern eine Position bzw. Funktion.
Zum anderen muss der Kapitän die Erneuerungsfähigkeit des Teams im Auge behalten. Er trägt die Verantwortung dafür, eine Kultur der Klarheit und Direktheit vorzuleben und einzufordern, damit Probleme direkt an- und ausgesprochen werden. Dafür braucht der Kapitän ein professionelles und
emotionales inneres Bild des gelungenen Teams. Er ist ein Role Model für Zugänglichkeit: Verbindung zwischen Menschen und damit Kommunikation über Verbesserungspotenziale werden möglich, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wahrnehmen, dass der Kapitän "approachable" ist. Das oberste Credo der Teamkultur ist: Es dürfen Fehler gemacht werden. Mehr noch: Fehler sind ein Teamentwicklungs-Potenzial. Der Kapitän muss leicht verständliche Prinzipien der Fehlerkulturen vermitteln, etwa "Fehler fördern Lernen". Oder "Es gibt immer viele Faktoren, die man nachher besprechen kann. Es ist nie ein Versagen." Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen sind ein No-Go.
Reflexion und Neu-Ordnen in ruhigen Zeiten – bei buchstäblich ruhiger See – sind unerlässlich für ein Höchstleistungsteam. Dadurch wird die Selbsterneuerungsfähigkeit laufend gestärkt, die kreative Zusammenarbeit in der nächsten Krise – etwa einem Orkan – besser. Auch hier hat der Kapitän fundamentale Aufgaben: Während er in der Krise – im "Auge des Orkans" – Ruhe bewahren und Zuversicht ausstrahlen muss, hat er danach für maßgeschneiderte Bearbeitungsräume zu sorgen, für eine passende Meeting-Architektur und angemessene Vorgaben für den Reflexionsprozess. So wird gemeinsames Lernen möglich – und auch Teams mit hoher Fluktuation können das Unvorhergesehene gut managen.